Die Praxis der Bestattung

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Bis Ende 1941 wurden sowjetische Kriegsgefangene noch in Einzelgräbern mit individueller Kennzeichnung durch einfache Holzkreuze, bei Sowjetbürgern muslimischen Glaubens mit Holzpflöcken ohne Querbalken zur Vermeidung christlicher Symbolik, bestattet. Hier zu sehen: Der Friedhof des Stalag X D (310) Wietzendorf im Herbst 1941.
(Quelle: Keller, R. (2011), S. 451)

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Zum Vergleich: Kreuze auf dem Lagerfriedhof Esterwegen. Die deutlich aufwändiger gestalteten Grabmale ähneln denen für tote Soldaten der Wehrmacht.
(Quelle: Archiv der Gedenkstätte Esterwegen)

Bei den Richtlinien zur Bestattung hielt man sich auf dem 1941 neu errichteten Friedhof zunächst noch in Teilen an die Vorgaben der Genfer Konvention, nach denen "in der Gefangenschaft verstorbene Kriegsgefangene in würdiger Weise bestattet, ihre Gräber mit allen nötigen Angaben versehen, geachtet und angemessen unterhalten werden"1 mussten. Entsprechend finden sich in der Registratur des Stalag VI C Bathorn für das Lager Dalum bis zum 28. November 1941 noch Nachweise von Einzelgräbern. Alle Gräber wurden mit einem Kreuz oder einer Namenstafel versehen.

Erst später erscheint der Vermerk 'Massengrab' auf den Sterbefallanzeigen und historische Fotografien von anderen Friedhöfen belegen diese Umstellung der Bestattungspraxis.
Im Unterschied zur Einzelbestattung wurde nun auch auf Särge verzichtet und die Leichen wurden in Reihen begraben. Diese Bestattungsart der verstorbenen Kriegsgefangenen in sogenannten Kameradengräbern, einer Praxis, die auch für die Beerdigung deutscher Soldaten an der Front vorgesehen und gängig war, umfasste zunächst 10-20 Leichen. Nach Angaben eines damals in einem anderen Lager im heutigen Niedersachsen verantwortlichen Offiziers, seien dort zu 'Höchstzeiten' des Sterbens etwa 100 Leichen in einem Massengrab beerdigt worden und die Grabmarkierungen seien nur noch mit den Nummern der Toten zur groben Identifizierung versehen worden.2
Mit dem Begriff der sogenannten Kameradengräber ordnete die Wehrmacht die Todesfälle der Kriegsgefangenen auf perfide Art soldatischen Todesumständen zu. Damit verschleierte diese Gedenktradition besonders nach dem Krieg den Sachverhalt, dass gerade die sowjetischen Staatsbürger:innen Opfer der nationalsozialistischen Rasseideologie geworden waren.

Zahlreiche Fotografien aus anderen norddeutschen Lagern zeigen, wie unzählige Leichen aus Pferdefuhrwerken oder Karren übereinander in große Gruben gekippt wurden und belegen damit diese unwürdige Bestattungspraxis entgegen der Genfer Konvention ab dem Winter 1941 als 'Normalfall' nationalsozialistischer Bestattungen. Im Fall des Lagerfriedhofs Dalum erfolgte der Transport der Leichen nach Angaben eines Zeitzeugen mit der Feldbahn 'Feuriger Elias', die die Lager Dalum und Groß Hesepe miteinander verband und unmittelbar am Lagerfriedhof Dalum vorbei fuhr.3 

Die zunehmend menschenunwürdige Bestattungspraxis äußerte sich in "übereinander und durcheinander"4 gestapelten Leichen in Massengräbern. Eine gewisse bürokratische Sorgfalt bei der Verzeichnung der Grablagen und damit die Möglichkeit, die dort bestatteten Personen identifizieren zu können, wurde jedoch - zumindest in den offiziellen Vorschriften - beibehalten.

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Der Zustand des Lagerfriedhofs in Dalum im Jahr 1944, aufgrund der laubfreien Bäume im Hintergrund vermutlich im Winter. Die Grabhügel wirken ordnungskonform gepflegt und sind mit beschrifteten Holzpflöcken versehen.
(Quelle: Bundesarchiv - Militärarchiv – RH53-6-63)

Im Sommer 1944 veranlasste das Oberkommando der Wehrmacht eine Generalüberholung der Begräbnisanlagen. Beurteilt man den Zustand des Lagerfriedhofs Dalum aus Sicht der gesetzlichen Vorgaben, lässt dieser sich über das einzige aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs überlieferte Foto der Anlage im Winter 1944, als 'vorschriftsmäßig' bezeichnen (hier nicht abgebildet). Das Festhalten an minimalbürokratischen Vorschriften zeigt die Perfidität der Funktionsweise der nationalsozialistischen Verwaltung.
Andere Fotos der Lagerfriedhöfe in Alexisdorf, Fullen, Oberlangen und Wesuwe, die im Bundesarchiv vorliegen, zeigen, wie wahllos die Bestattungspraxis aussah: Grabhügel waren teilweise nicht vorhanden (Oberlangen), die Grabzeichen bestanden aus Holzplanken (Dalum, Wesuwe), Holzschildern (Fullen) oder aus aufwändiger gearbeiteten russisch-orthoxen auf den Grabhügeln liegenden Kreuzen (Alexisdorf). Auch der Pflegezustand unterschied sich auf den Friedhöfen im Winter 1944 jeweils deutlich.

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Im Jahr 1941 zeichnete der Gefangene Jean Morin die Bestattungspraxis auf dem neu angelegten Lagerfriedhof Dalum.
(Quelle: Archiv der Gemeinde Geeste / Jean Morin (1946): Gross-Hesepe_Stalag 6 C. Kobierzyn_Stalag 369. Pologne. Stalags de Réfractaires. 50 Dessins de Jean Morin. 22, Rue Alexis Millardet, Bordeaux)

Ein weiteres Indiz für den makabren Umgang mit den Häftlingen zeigt neben der Tötung durch Unterversorgung und Zwangsarbeit aus rassistischen Motiven, die noch bis zuletzt befolgte Einhaltung selbst minimaler bürokratischer Vorschriften. Mit der Abstufung als  Gefangene wurde aus Individuen namenlose Nummern gemacht, die mit dem steigenden Massensterben in zunehmend würdeloser Art in Massengräbern bestattet wurden. "Die Diskriminierung der Kriegsgefangenen, vornehmlich denen aus der Sowjetunion, setzte die Wehrmacht, somit auch kriegsvölkerrechtswidrig in der Beisetzung und über ihren Tod hinaus, fort."5

Das Festhalten an bürokratischen Vorgaben, die eine Sichtbarmachung der Grabhügel und Markierung durch Holzstelen vorsahen, sowie das Karteisystem zur Erfassung der Personendaten ermöglichten in der Nachkriegszeit das Schaffen erster Erinnerungszeichen.

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[1] zitiert nach Keller, R. (2012a), o.S.
[2] ebd.
[3] Koers, M. (2019), S. 21.
[4] Keller, R. (2012a), o.S. 
[5] Janz, N. (2018), S.65.