Das Entstehen des Friedhofs Dalum

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Bürgermeister Lüken ließ 1950 eine Namensliste sowie einen Lageplan für alliierte Investigativeinheiten zusammenstellen. Mit einem Klick auf das obige Bild kann der Lageplan aufgerufen werden.
(Quelle: Arolsen Archives, DE ITS 5.3.5 5.42)

Die verstorbenen, beziehungsweise getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen des Lagers XII Dalum wurden ab dem Zeitpunkt ihrer dortigen Unterbringung ab 1941, zunächst (und vereinzelt bis 1945) auf dem Dorffriedhof Dalum beigesetzt. Spätere Exhumierungsnachweise zeigen die Lücken- oder Fehlerhaftigkeit der offiziellen Angaben der Nachkriegsregierung auf:

So wurde etwa laut Auskunft der French Search Mission vom 20.07.1952 die Exhumierung eines Franzosen, der am 07.04.1941 starb, nachgewiesen. Allerdings fehlt dieser auf nebenstehender Gräberliste von 1950. Weitere Umbettungen nach Dalum aus der Nachkriegszeit verdeutlichen, dass es sich nicht um einen reinen Russenfriedhof handelt, wie die heutige Kriegsgräberstätte lange problematischer Weise genannt wurde.1 Die Titulierung als 'Russenfriedhof' grenzte die sowjetischen Opfer während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft deutlich von anderen Opfergruppen ab. Als stigmatisierender Begriff steht er in der Tradition der rassenideologischen Weltanschauung des Nationalsozialismus. Nach Aussage von NS-Verantwortlichen protestierten Anwohner:innen gegen die Bestattung von ausländischen Kriegsgefangenen auf 'ihrem' Friedhof. Zeitgleich erließen die zuständigen NS-Behörden neue gesetzlichen Vorgaben, sodass mehr als zwei Kilometer vom Dorf entfernt ein eigener Lagerfriedhof eingerichtet wurde. Ende August 1941 wies die Kommandantur des Stalag VI C in Bathorn, dem Dalum unterstellt war, in einem Schreiben an den Kommandeur der Kriegsgefangenenlager im Wehrkreis VI Münster auf die Dringlichkeit dieses gesonderten Friedhofs hin. Der Wortlaut und die Perspektive entstammen hier also einem Täters:

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Auf einem Luftbild von 1936 ist die Lage des RAD-Lagers gut zu erkennen. An der südlichen Grenze des Geländes verläuft heute der Rull weiter bis zur Süd-Nord-Straße.
(Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv - Abteilung Osnabrück, K 300 Nr. 23 h Bl. 706)

"Infolge der Belegung des Stalag VI C mit russischen Kriegsgefangenen sind in der Begräbnisfrage Schwierigkeiten entstanden. Bisher wurden die verstorbenen Kriegsgefangenen sämtlicher Zweiglager auf dem Friedhof der katholischen Kirchengemeinde zu Dalum beerdigt. [...] Mit der Zunahme der Todesfälle bei den russischen Kriegsgefangenen – bis jetzt 5 - hat auch die Erregung der Bevölkerung zugenommen, die nicht dulden will, dass Bolschewisten auf ihrem Friedhof beerdigt werden. [...] Ich habe daher mit dem Bürgermeister E. von Dalum verhandelt und ihm gesagt, dass ich mich bemühen wolle, höheren Ortes die Genehmigung Lagerfriedhof des Lagers Dalum zur Festlegung eines anderen abseits des Dorfes wie des Kriegsgefangenenlagers liegenden Begräbnisplatzes zu erwirken und dass dann die bisher auf dem katholischen Friedhof bestatteten russischen Kriegsgefangenen dahin verlegt werden sollen. Wir haben gemeinsam einen Platz in der Heide etwa 1,3 km nordöstlich des Kriegsgefangenenlagers und 100 m abseits eines Feldweges, über den die Feldbahn in Richtung Groß Hesepe fährt, als geeignet gefunden. Dieser Platz, dessen Größe beliebig erweitert werden kann, liegt mehr als 2 km vom Dorf Dalum entfernt."1

Die Gemeinde Geeste beschreibt die Vorgänge in einer Informationsbroschüre zur Geschichte der Kriegsgräberstätte heute folgendermaßen:

125 Da 1930 er RAD-Lager Dalumer Rull Abteilung 21.tif

Mittig auf dem Gelände des RAD-Lagers befand sich ein mit Steinen umfasster Teich. Auf dem heutigen Friedhofsgelände befindet sich heute an etwa derselben Stelle die Statue einer Mantelmadonna.
(Quelle: Archiv der Gemeinde Geeste)

"Die Anlage des neuen, rund 100 x 125 m [12.500 qm2] großen Friedhofs erfolgte auf einer Parzelle, die zuvor [1936 bis 1938] als Reichsarbeitsdienstlager Dalum-Rull (RAD-Lager 3/312 Lingen „Ernst Rietschel“) in Nutzung gewesen und bereits Eigentum des preußischen Staates war. Die auf dem katholischen Friedhof beigesetzten Kriegsgefangenen wurden auf den neuen Friedhof umgebettet und in Einzelgräbern mit vorschriftsmäßiger namentlicher Kennzeichnung bestattet [wie aus der oben rechts abgebildeten Gräberliste deutlich wird aber offenbar nicht alle]. Bis zum 26. November 1941 hatte man bereits mehr als 700 tote Rotarmisten beigesetzt – überwiegend noch in Einzelgräbern. Angesichts des Massensterbens der sowjetischen Gefangenengruppe lösten Massengräber fortan die bisherige Bestattungsform ab; die individuelle Kennzeichnung mit Kreuzen oder Namensschildern entfiel, lediglich eine Nummerntafel verwies auf die Grablage."2

Auch die anderen Lagerfriedhöfe der Emslandlager wurden nach diesen Vorgaben in ähnlicher Entfernung zu den jeweils nächstgelegenen Wohnorten eingerichtet. Die Einrichtung auf dem Gelände ehemaliger RAD-Lager stellt für das Emsland ebenfalls keinen Einzelfall dar; diese Praxis ist etwa für die Standorte der ehemaligen Lager Fullen und Wesuwe jüngst von der Gedenkstätte Esterwegen nachgewiesen worden. Der Friedhofsstandort war für die Lagerverwaltung in Dalum in diesem Fall von Vorteil, weil die Strecke der von Einheimischen als "der feurige Elias" bezeichneten Feldbahn nach Groß Hesepe das Lager direkt mit dem ausgewählten Standort verband und so die Leichen mithilfe von Brigadewagen (und damit mit deutlich weniger Aufwand als sonst üblich mit Pferde- oder Handkarren) transportiert werden konnten. Sie waren ebenso präsent: In einem Zeitzeugenbericht erinnerte sich ein damals 16-Jähriger gegenüber dem Historiker Michael Gander an die Leichentransporte.3 

1944 Dalum Russenfriedhof - Bundesarchiv - Militärarchiv – RH53-6-63.jpg

Das äußere Erscheinungsbild des Friedhofs war 1944 durch die Grabhügel und Holzstelen bestimmt. Der Pflegezustand entsprach den Minimalstanforderungen der Wehrmacht zu dieser Zeit, die Identität der einzelnen Toten wurde in der Gräbergestaltung bewusst unsichtbar gemacht.
(Quelle: Bundesarchiv - Militärarchiv – RH53-6-63)

Weiter wird dazu in der Informationsbroschüre aus den Verwaltungsunterlagen der Täter:innen wie folgt zitiert:

"In Gemeinschaftsgräbern sind die Leichen [...] wie stets mit einer Erkennungsmarke zu versehen, sodass späterhin anhand der Kartothek, die alle Personalien enthält, festgestellt werden kann, um welche Leichen es sich handelt."4 

Für die Sichtbarkeit der spätestens ab Herbst 1941 verwendeten Massengräber wurden Grabhügel angelegt, in Reihen angeordnet und mit Holzpflöcken versehen, auf denen die Gefangenennummern der dort begrabenen Kriegsgefangenen vermerkt wurden. Um das Gelände hätten sich außerdem vereinzelt Bäume befunden. Während der Nutzung des Lagers Dalum als Außenlager des KZ Neuengamme (November 1944 bis März 1945) wurde nordöstlich des bestehenden Friedhofs eine kleine, gesonderte Fläche zur Bestattung der während der KZ-Haft Verstorbenen angelegt, die später sogenannte 'KZ-Grabstätte'.

Dieser Wandel in der Bestattungsform stellt keinen Einzelfall dar. Er folgte den sich verändernden Gesetzgebungen der Zeit: Die zunehmend menschenunwürdige und fortgesetzte Behandlung der Leichen der Gefangenen etablierte sich als übliche, rechtlich institutionalisierte Praxis.

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[1] zitiert nach Koers, M. (2019), S. 43f. Siehe weiterführend Alge, C. (2021).
[2] Koers, M. (2019), S. 44.
[3] zitiert nach Gander, M. (2005), S. 144, Quelle aus: "Gemeindearchiv Wietmarschen, ohne Signatur."
[4] aus: Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) zur „Behandlung der sowj. Kr. Gef.“, 24. März 1943, in: BA-MA, RW 6/v. 278, zitiert nach Gemeinde Geeste (2019), S. 44.