Opferzahlen

Im Folgenden wird eine Übersicht über die Debatten und Prozesse zur Schätzung der bestatteten Personen auf dem Gelände der Kriegsgräberstätte Dalum vorgestellt. Die Opferzahlen haben nicht nur Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Produktion des Ortes, sondern bestimmen zudem in der Verwaltung die finanzielle Förderung der Pflege des Geländes.

Vermutlich ab dem Spätsommer 1941 bis Kriegsende 1945 wurden auf dem Lagerfriedhof Dalum u.a. die Toten aus dem Lager XII Dalum beigesetzt.1
Der Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Widerstandes 1933-1945 vermutete 1986 noch, dass die hohen Todeszahlen durch die Nutzung des Lagers Dalum als sogenanntes Lazarettlager zu erklären seien.
Während der Nutzung des Lagers als Außenlager des KZ Neuengamme, erklären sich die hohen Todeszahlen als Folge von Unterernährung und Ausbeutung durch Arbeit der Häftlinge im als Außenlager Meppen-Dalum bekannten Lager u.a. durch unzureichende Essensrationen. Weiter wurden ebenfalls als Folge der Unterernährung zahlreiche Krankheiten, die bei zahlreichen Häftlingen tödliche Folgen hatten, vom Lagerarzt, Paul Tygesen, dokumentiert.Zur Zeit des Außenlagers wurden Häftlinge hier allerdings nicht zum Torfabbau, sondern vor allem zum Bau von Panzergräben eingesetzt.3

Zusätzlich bestattete man in Dalum auch Tote aus anderen Emslandlagern: Aus dem Lager Wietmarschen wurden die verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen zumindest bis August 1944 in Dalum beerdigt; alleine im Januar 1944 starben nachweislich 151 von ihnen an Tuberkulose (eine deutlich höhere Zahl ist aus Leerstellen in den bisher bekannten Todeslisten anzunehmen). Pieter Albers sprach 2018 von etwa 1.200 Toten aus diesem Lager. Martin Koers, Co-Leiter der Gedenkstätte Esterwegen und Archivar der Gemeinde Geeste, konnte in seiner laufenden Forschung ermitteln, dass wohl bis Kriegsende 1945 auch Tote aus Wietmarschen in Dalum bestattet worden waren. Aus dem Lager Alexisdorf wiederum wurden die Toten bis zum Frühsommer 1943 in Dalum bestattet, bevor die heutige Kriegsgräberstätte Großringe/Neugnadenfeld als Lagerfriedhof angelegt wurde. Auch aus dem Lager Bathorn und dem  Lager Groß Hesepe wurden Tote auf dem Lagerfriedhof bei Dalum beerdigt.

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Das Foto zeigt den Lagerfriedhof Dalum im Jahr 1944.
(Quelle: Bundesarchiv - Militärarchiv – RH53-6-63)

Während der Zeit ab 1944, als das das Lager als Außenlager Meppen-Dalum des KZ Neuengamme genutzt wurde, kam es dort - wie in einigen weiteren Außenlagern - zu Tötungshandlungen, deren Täter nach Kriegsende von britischen Militärgerichten verurteilten wurden.4 Hier bestattete man 50 in dieser Zeit verstorbene Lagerinsassen "in einem Massengrab"5. Elke Suhr und Werner Boldt geben für den Zeitraum der Nutzung als Außenlager für Versen und Dalum gemeinsam 566 verstorbene KZ-Häftlinge an.6 2019 ging Martin Koers nach ausführlicher Quellenrecherche für den besagten Zeitraum für Dalum von einer Totenzahl "zwischen 50 und 90"7 aus. 

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Auf der Eingangstafel auf dem Gelände ist von 8.000 bis 16.000 Begrabenen die Rede. Diese Zahlen übernimmt auch der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge (VDK). Die Russische Botschaft rechnet mit 16.047 Toten.
(Foto: NGHM / Universität Osnabrück)

Die Forschung ist in den letzten Jahren intensiv darum bemüht, offene Fragen zu beantworten und ebenso die Anonymität der Toten zu beenden und hat damit begonnen, systematisch ihre Anzahl, Namen sowie Herkunftskontexte zu klären. Namentlich bekannt waren dem Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ), der Gedenkstätte Esterwegen und der Dokumentationsstätte Stalag 326 Senne seit 2008 "mehr als 1.200"8 sowjetische Kriegsgefangene.

Seit langer Zeit arbeitet man in Esterwegen an einer Datenbank: Eine FSJlerin der Gedenkstätte "baute eine Datenbank auf, in der Ende 2012 bereits 4000 Namen von im Emsland verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen festgehalten sind"9. Auch Schulklassen sollten ab 2013 in die Arbeit an der Datenbank eingebunden werden. Ein aktuell laufendes Kooperationsprojekt der Gemeinde Geeste unter Leitung des Archivars Martin Koers erfasst seit einigen Jahren mit einem Team ehrenamtlicher Unterstützer:innen sämtliche Unterlagen aus der russischen Online-Datenbank OBD-Memorial, die einen Bezug zu den Emslandlagern haben.

In einem Interview äußerte Koers Ende 2021, dass inzwischen "Angaben zu annähernd 14.000 sowjetischen Kriegsgefangenen [...] in der Datenbank erfasst" seien. Inzwischen (Stand: März 2023) liegen ca. 19.000 Biografien vor, die seit Anfang des Jahres 2023 in Form eines Online-Gedenkbuches zur Verfügung stehen. Besonders vor dem Hintergrund, dass es "[...] eine große Nachfrage nach weiteren Informationen [gibt] und ein großes Bedürfnis, die Sterbeorte der Angehörigen zu besuchen, Abschied zu nehmen, zu erinnern und zu gedenken. Viele möchten einen persönlichen Grabstein für den Vater, Bruder, Großvater, oder Onkel aufstellen"10, könnte ein Gedenkbuch einen grundlegenden Beitrag für die Ermöglichung privaten Gedenkens bieten.

Das seit 2004 zuständige Niedersächsische Innenministerium berechnete die Kosten für die Instandhaltung 2014 noch mit 48 Einzelgräbern und 7.962m2 Friedhofsfläche mit Sammelgräbern, also weniger Fläche als in den Quellen zur Friedhofsanlage angegeben. Für 1961 lässt sich in den Quellen eine Neuvermessung nachweisen, nach der 1.794m2 Fläche weniger als Berechnungsgrundlage dienen. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz (2007) ist das Ministerium als für die Pflege zuständige Institution zum Führen von standardisierten Gräberlisten verpflichtet, die sich also in den aktuellen Verwaltungsunterlagen befinden dürften.

Parallel zur Datenbank in Esterwegen wurde im Rahmen des Projekts 'Sowjetische und Deutsche Kriegsgefangene und Internierte' (2000-2014) unter der Leitung Klaus-Dieter Müllers von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten eine Datenbank möglichst aller auf heutigem deutschen Boden verstorbener sowjetischer Kriegsgefangenen angelegt, die jedoch nur eine Suche über Namen zulässt. Seit 2016 führt das großangelegte Projekt 'Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte', vom russischen und deutschen Außenminister ins Leben gerufen, diese Forschungen fort.

Trotz dieser Forschungsfortschritte wurde und wird an verschiedenen Stellen weiterhin die Schätzung der Todeszahlen von 8.000 bis 16.000 reproduziert.

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[1] Vgl. Koers, M. (2019), S. 43ff.
[2] Buggeln, M. (2009), S. 201f. 
[3] ebd., S. 140ff.
[4] ebd., S. 479f.
[5] Buck, K. (2008), S. 71. 

[6] Suhr, E. et al. (1985), S. 30.
[7] Koers, M. (2019), S. 4. 
[8] Mithöfer, S. (o.J.), S. 9. 
[9] Buck, K. (2012), S. 58.
[10] Petry et al. (2021), S. 131.

Die Zahl der Opfer