Die 'Herold-Massaker' im April 1945
In den letzten Kriegswochen wurde das Strafgefangenenlager II Aschendorfermoor zum Tatort eines Massenmordes, der für die Geschichte der Emslandlager einzigartig ist:
Durch die vorrückenden alliierten Truppen begonnen ab Ende März 'Evakuierungsmärsche' bzw. Todesmärsche. Zunächst wurden alle verbliebenen Gefangenen in den Strafgefangenenlagern Esterwegen und Börgermoor zusammengefasst. Am 9. April 1945 wurden die etwa 480 Wehrmacht-Untersuchungshäftlinge aus dem Lager I Börgermoor auf einen 'Evakuierungsmarsch' in Richtung Leer geschickt. Die Lagerverwaltung nutzte die Gelegenheit und schickte auch alle anderen Gefangenen auf den Marsch. Nach ca. 20 Kilometern wurden die Wehrmacht-Untersuchungshäftlinge mit Lastwagen nach Leer weitertransportiert, die übrigen Gefangenen mussten zu Fuß zum Lager II Aschendorfermoor marschieren. Sie erreichten es am 10. April 1945 und blieben zunächst dort.
In dem überfüllten Lager traf einen Tag später auch der selbsternannte 'Hauptmann' Willi Herold mit einer Truppe versprengter Soldaten ein.
Herold wurde 1925 in Lunzenau geboren und 1943 zur Wehrmacht einberufen. Als Fallschirmjäger kämpfte er bis 1945 in Italien und wurde zum Gefreiten befördert. Anfang 1945 ist seine Einheit nach Deutschland zurückverlegt worden, wo er im März 1945 den Anschluss an seine Truppe im Raum Grafschaft Bentheim verloren habe.
Laut vorherrschendem Narrativ habe sich die dann folgende Zeit und der Aufenthalt Herolds im Lager II Aschendorfermoor wie folgt zugetragen:
Herold habe nach dem Verlust seiner Truppe eine hochdekorierte Hauptmannsuniform in einem leerstehenden Fahrzeug gefunden. Er habe sich diese angezogen und sich fortan als Hauptmann ausgegeben. Durch die Uniform habe er eine Befehlsgewalt bekommen, die kaum jemand hinterfragt habe. Er habe eine Truppe anderer versprengter Soldaten um sich gesammelt und sei mit ihnen Richtung Norden gezogen. Über verschiedene Stationen seien Herold und seine Truppe am 11. April 1945 zum Strafgefangenenlager II Aschendorfermoor gelangt.
Dort fand er chaotische Zustände und eine überforderte Lagerleitung vor, der gegenüber er forsch auftrat, sich so als vermeintlich Verantwortlicher überzeugte und spontan die Befehlsgewalt übernahm. Er hörte Berichte über Fluchtversuche bei den Evakuierungsmärschen und ließ sich darauf etwa 30 Gefangene zeigen, die bei den Märschen geflohen, aber wieder ergriffen worden waren. Herold gab seinen Soldaten den Befehl, diese Gefangenen zu erschießen. Daraufhin wurden sie einzeln hinter der Arrestbaracke erschossen. Dieses Massaker, das später nach Herold benannt wurde, verzeichnete damit erst seinen grausamen Anfang.
Lagerleiter Johann-Friedrich Hansen unterbrach schließlich die Aktion und forderte für das weitere Vorgehen, auf Anweisungen höherer Stellen zu warten. Herold ließ sich darauf ein.
Am nächsten Vormittag mussten einige Strafgefangene außerhalb des eingezäunten Lagerbereichs eine Grube ausheben. Eine Anweisung höherer Stelle habe nun vorgelegen, so lassen es Zeugenaussagen vermuten. Herold bildete eine Art Standgericht und verhörte Gefangene. Am Abend wurden die 'Verurteilten', aber auch weitere, willkürlich ausgewählte Gefangene zu jener Grube geführt und dort in Gruppen erschossen. Herolds Soldaten schossen zunächst mit einem Flakgeschütz, welches aber bald Ladehemmung hatte. Daraufhin fingen sie an, mit ihren Gewehren auf die Gefangenen zu schießen und Handgranaten in die Grube zu werfen. An diesem Tag wurden etwa 100 Gefangene auf qualvolle Weise getötet.
Bis zum 19. April 1945 blieb Willi Herold mit seiner Truppe im Lager II Aschendorfermoor und verfolgte weiter systematisch entflohene Gefangene, die er bei Ergreifung ebenfalls erschießen ließ. In der Woche vom 11. bis zum 19. April 1945 ermordeten Herold und seine Truppe mit Unterstützung der Wachleute mindestens 172 Gefangene.
Die Toten des 'Herold-Massakers' wurden am 1. Februar 1946, exhumiert. Willi Herold, der sich seit Mai 1945 in britischer Gefangenschaft u.a. im Internierungslager Esterwegen befand, war Teil der Grabungsmannschaft und musste die Orte des Massakers angeben. Auch alle Mitglieder der NSDAP, SS und SA aus Papenburg und Aschendorf mussten sich auf Anordnung der britischen Militärregierung die Exhumierungen ansehen und teilweise bei den Grabungen helfen. Ein Zeitzeuge erinnerte sich, dass an diesem Tag 195 Leichen exhumiert wurden. Diese Toten des 'Herold-Massakers' und des britischen Luftangriffs auf das Lager am 19. April 1945 sind heute auf der Kriegsgräberstätte Aschendorfermoor beerdigt, die problematischer Weise auch als 'Herold-Friedhof' bezeichnet wird.