Das Lagersystem im Emsland und in der Grafschaft Bentheim zwischen 1933 und 1945

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Schreiben des preußischen Innenministeriums an den Regierungspräsidenten in Osnabrück vom 17. März 1933.
In diesem Schreiben ermittelt ein Beamter des preußischen Innenministeriums, dessen Minister Hermann Göring war, potenzielle Gegebenheiten geeigneter Lagerstandorte zur Inhaftierung von Häftlingen im Regierungsbezirk des Regierungspräsidenten von Osnabrück. Der damalige Regierungsbezirk umfasste unter anderem die heutigen Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim.

(Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv - Abteilung Osnabrück, Rep 430 Dez 502 Akz. 11/63 Nr. 2)

Die Machtübernahme1 der Nationalsozialisten, beginnend mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, wurde in entscheidendem Maße mit Mitteln der Repression, Gewalt und schließlich der Inhaftierung von politischen Gegnern realisiert. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erhielt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) das Innenministerium und konnte so schon früh die Unterdrückung von den durch die Partei erklärten politischen Gegnern – vorrangig Kommunisten und Sozialdemokraten – realisieren, um die bevorstehenden Reichstagswahlen gewinnen und so die eigene Macht erweitern zu können.
Als der Reichstag am 27. Februar 1933 in Brand gesteckt wurde, bot sich den Nationalsozialisten die Gelegenheit, die Repressionen gegen ihre Gegenspieler auszuweiten. Am 28. Februar wurde die 'Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat'2, die alle elementaren Grundrechte der Bürger:innen außer Kraft setzte, erlassen. Viele politische Gegner:innen wurden in der Folge in die sogenannte Schutzhaft gebracht.

Die nationalsozialistische Führung ging bald dazu über, eine zentrale Möglichkeit der Unterbringung zur Isolation und Konzentration von sogenannten Schutzhäftlingen, meist politische Gegner:innen der Nationalsozialisten, zu suchen. In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Osnabrück fragt das Preußische Innenministerium "die Unterbringung einer größeren Anzahl von Häftlingen - ca. 250-300 Mann - in einem Lager"3 an. Potenzielle Lagerstandorte für solche Unterbringungen müssten die Gelegenheit "für eine Beschäftigung der Häftlinge bei gemeinnützigen Arbeiten biete[n]. Es ist hier an Arbeiten in Moorgegenden [...] zu denken."4 Der Regierungspräsidenten von Osnabrück sah diese Möglichkeit an verschiedenen Orten seines Regierungsbezirks, der unter anderem die heutigen Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim umfasste, gegeben. Er schlug zunächst den Ort Börgermoor vor.

Topographie Emslandlager

Diese Übersichtskarte zeigt die Emslandlager.
(Quelle: Archiv der Gedenkstätte Esterwegen)

Damit war der Standort für das erste, der später so genannten, Emslandlager gefunden. Im Sommer 1933 wurde das Lager I Börgermoor als Konzentrationslager fertiggestellt. Kurz darauf folgten im Sommer 1933 die Konzentrationslager Esterwegen und Neusustrum. 1934 übernahm die Justizverwaltung die Konzentrationslager Börgermoor und Neusustrum und führte sie als Strafgefangenenlager weiter. Zudem wurden die bereits erbauten Lager Brual-Rhede und Oberlangen sowie die 1935 fertiggestellten Lager Aschendorfermoor und Walchum als Strafgefangenenlager der Justiz genutzt.5

In den Strafgefangenenlagern waren keine Schutzhäftlinge mehr inhaftiert, sondern 'generische' Strafgefangene, also Gefangene, die von Zivilgerichten für 'reguläre' Straftaten verurteilt wurden. Dies waren oftmals Menschen, die durch das NS-Regime aus ethnischen, politischen, rassistischen, sozialen oder religiösen Gründen verfolgt wurden.

Als die Nationalsozialisten 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg auslösten, wurden Strafdelikte wie Desertion oder Wehrkraftzersetzung relevant für das Gefangenenwesen. Unter Wehrkraftzersetzung fielen die Verweigerung des Kriegsdienstes, Selbstverstümmelung sowie regimekritische Äußerungen. Diejenigen deutschen Soldaten, die für diese oder ähnliche Straftaten verurteilt worden waren, wurden ab 1939 auch in den Emslandlagern inhaftiert.

Die Lager im südlichen Emsland und der Grafschaft Bentheim - vom Lager Wesuwe bis zum Lager Wietmarschen - wurden nach Kriegsbeginn 1939 als Kriegsgefangenenlager genutzt. Hier wurden ausländische Soldaten interniert. Dies waren zunächst polnische Soldaten, ab 1940 viele Soldaten aus den sogenannten 'Benelux-Staaten' und nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 vor allem sowjetische Soldaten der Roten Armee. Diese bildeten in den Emslandlagern die größte Gefangenen- und Opfergruppe.

07-3 Esterwegen.tif

Strafgefangene bei Kuhl-Arbeit nahe der Siedlung Hilkenbrook bei Esterwegen 1938.
(Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv - Abteilung Osnabrück, Slg 50 Akz 58/1989 Nr 207)

Die Häftlinge und Gefangenen der Emslandlager mussten in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg acht bis zwölf Stunden täglich Zwangsarbeit im Moor leisten. Dazu mussten sie das Moor durch die sogenannte Kuhl-Arbeit entwässern, umgraben und neue Wege sowie Straßen bauen. Nach Kriegsbeginn wurden sie zunehmend in kriegswichtigen Betrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Verpflegung und medizinische Versorgung der Internierten war äußerst unzureichend und stand in keinem Verhältnis zu der harten körperlichen Arbeit. Zudem waren die Gefangenen stets der Willkür der Wachmannschaften ausgesetzt, die an ihnen zahlreiche Gewalttaten ausübten, sie misshandelten und ermordeten.  Oftmals sind Häftlinge auch an der schlechten Versorgung und der harten Arbeit gestorben.
Insgesamt waren in den 15 Emslandlagern von 1933 bis 1945 ca. 80.000 KZ-Häftlinge und Strafgefangene und ca. 100.000 Kriegsgefangene inhaftiert. Von ihnen überlebten schätzungweise um die 20.000 Menschen die Haft nicht.

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[1] Weitere Informationen zur Machtübernahme der Nationalsozialisten finden sie unter diesem Link.
[2] Die Kursivsetzung von einzelnen Wörtern kennzeichnet in dieser digitalen Ausstellung jeweils besonders hervorzuhebende Eigenbegriffe, die auf Eigennamen verweisen oder aus historischen Kontexten wie dem Nationalsozialismus stammen. Erstere dienen dem Verweis auf Institutionen, Eigenbegriffe, etc., von letzteren möchten wir uns als Autor:innen distanzieren, nutzen zeitgenössische Begriffe aber aufgrund des hier vorgestellten historischen Kontextes. Der Übersichtlichkeit halber werden solche Begriffe nur einmal auf jeder Seite kursiv gesetzt. Längere, als solche gekennzeichnete Zitate werden ebenfalls kursiv gesetzt.
[3] Preußische Innenministerium (1933): Schreiben an den Regierungspräsidenten in Osnabrück.
[4] Ebd.
[5] Die Nummerierung der Emslandlager erfolgte im Zuge der Erbauung der Strafgefangenenlager. Daher werden die Lager Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum, wenn von ihnen als Konzetrationslager die Rede ist, nicht mit einer Nummerierung versehen.

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