Schießstand der Wachmannschaften

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Geländeüberlassung der Oberförsterei der Grundbesitzverwaltung Arenberg-Meppen GmbH an das Konzentrationslager Esterwegen zur Errichtung einer Schießanlage. Die rot markierte Fläche kennzeichnet eine in den Akten als "ertragslose Sandfläche" bezeichnete Stelle. Auf dieser könne die Schießbahn erbaut werden, heißt es in der Geländeüberlassung.
(Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv - Abteilung Osnabrück, Dep 62 C Akz 29/91, Nr. 355)

Bereits ein Jahr nach der Errichtung des Konzentrationslagers Esterwegen 1933 sollte eine Schießanlage in der Nähe des Lagers gebaut werden. Die Verwaltung des Konzentrationslagers Esterwegen plante, eine Fläche im angrenzenden Wald - auch 'Esterweger Busch' genannt - zu nutzen. Da dieser im Besitz der Arenberg-Meppen GmbH war, fragte die Verwaltung des Konzentrationslagers Esterwegen Anfang 1934 die Überlassung einer Fläche im Wald für die Errichtung einer Schießanlage bei dieser an. Die Oberförsterei der Grundbesitzverwaltung Arenberg-Meppen GmbH stellte die Fläche im April 1934 für die Errichtung der Schießanlage zur Verfügung.
Das nebenstehende Bild zeigt eine Zeichnung der Fläche, die für die Errichtung der Schießbahn vorgesehen war.

Über den Bau der Schießanlage in der folgenden Zeit sind keine Quellen bekannt. Aus Aussagen ehemaliger Häftlinge geht hervor, dass diese für den Bau der Schießanlage herangezogen wurden. Vermutlich wurde sie im Jahr 1934/35 fertiggestellt.

Auf der neu errichteten Schießbahn wurden die Wachmannschaften des Lagers Esterwegen im Führen und Bedienen der üblichen Schusswaffen ausgebildet. Sie diente nicht als Ort von Exekutionen an Häftlingen. Dennoch wurden im angrenzenden Wald - vermutlich auf oder in der Nähe der Schießbahn - vereinzelt Häftlinge erschossen und verletzt.

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Aufnahme der Schießanlage aus dem Dienstalbum Karl Otto Kochs. Die Beschriftung lautet "Schießstand des K.L.E.". Die Abkürzung "K.L.E." heißt Konzentrationslager Esterwegen.
(Quellen: Archiv der Gedenkstätte Esterwegen)

Über die Schießanlage des Lagers Esterwegen sind nur sehr wenige Quellen bekannt. Die einzige bekannte fotografische Aufnahme der Schießanlage aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt aus dem 'Dienstalbum' des KZ-Kommandanten des Lagers Esterwegen, Karl Otto Koch. Er war von Juli 1934 bis April 1936 Kommandant des Konzentrationslagers Esterwegen und wurde danach in das neu erbaute Konzentrationslager Sachsenhausen, das mit Zwangsarbeit durch Häftlinge und unter Aufsicht des Wachpersonals des KZ Esterwegen errichtet wurde, versetzt. 
Das nebenstehende Bild zeigt die Schießanlage im Jahr 1936. Sie besteht aus einer ca. 250 Meter langen Sandbahn, die an den Seiten durch bepflanzte Erdaufschüttungen begrenzt ist. Auf dem Foto ist zudem eine Holzkonstruktion zu sehen, die vermutlich als Kugelfang diente. Im Hintergrund sowie auf einem weiteren Foto aus dem 'Dienstalbum' lassen sich weitere Konstruktionen finden, die vermutlich als Auflage für die Schusswaffen bei Schießübungen genutzt wurden.
Über den Aufbau dieser beiden Konstruktionen auf der Schießbahn des Lagers Esterwegen sind ebenfalls keine Quellen bekannt. Auf einem Luftbild von 1937 sind auf der Schießbahn vermutlich sechs dieser Konstruktionen zu erkennen. 

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Ausschnitt aus einem Luftbild von 1937. Zu sehen ist das Lager Esterwegen sowie die Schießbahn im 'Esterweger Busch'.

(Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv - Abteilung Osnabrück, K 300 Nr. 23 Bl. 89 H)

Ausgehend von dem Foto des KZ-Kommandanten, welches einen der Kugelfänge auf der Schießbahn zeigt, sowie dem Luftbild von 1937, auf dem die Kugelfänge als viereckige Konstruktion zu sehen sind, wurden die Untersuchungen während der dritten Herbstschule im Projekt Boden|Spuren geplant. Eine der zentralen Untersuchungsziele war es, die Kugelfänge zu verorten und mehr über ihren Aufbau herauszufinden. Waren sie im Boden verankert oder lediglich eine aufgesetzte Konstruktion? Lassen sich Überreste des Holzes oder mögliche Verankerungen finden? Da die Frage nach den Transformationen jener historischen Orte zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde dies genau untersucht. Die jeweiligen Befunde nehmen heute wiederum starken Einfluss auf eine kritische Reflexion etablierter historischer Narrative und somit den Lernchancen und Erkenntnisgewinn in diesem Kontext.

Als Hintergrundmaterial wurden Quellen zu Schießständen in anderen Emslandlagern herangezogen. Aus diesen geht hervor, dass die Schießanlagen anderer Emslandlager ähnlich gebaut waren. Sie bestanden ebenfalls aus einer ca. 250 Meter langen Bahn, die seitlich durch Erdaufschüttungen und am Ende  durch einen runden Kugelfang begrenzt war. In den Bauplänen zur Schießanlage des Lagers IX Versen sind die sogenannten Blenden - Kugelfänge - als aufliegende Konstruktion eingezeichnet. Daraus ergab sich die Vermutung, dass es sich bei den Kugelfängen der Schießanlage in Esterwegen möglicherweise auch lediglich um aufgelegte Konstruktionen handelte. Auf der Seite Messergebnisse wird das Vorgehen während der Herbstschule Esterwegen (2022) sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchungen beschrieben.

Die Schießanlage des Lagers Esterwegen sowie der anderen Emslandlager waren Teil der (typischen) Lagerinfrastruktur, auch wenn sie in Lagerplänen aufgrund ihrer Lage außerhalb der Barackenstandorte nicht immer verzeichnet sind. Sie dienten vorrangig der Ausbildung von Wachpersonal, möglicherweise aber auch als eine Art 'Freizeitangebot'.

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Ausschnitt aus einem Luftbild von 1955. Die ehemalige Schießbahn des Lagers Esterwegen ist noch gut zu erkennen. 

(Quelle: Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, RW 0230 / Hansa Luftbild AG, Luftbildpläne 1951-1970 RW 0230, Nr. 5029)

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Ausschnitt aus dem 360°-Rundgang über das Gelände der ehemaligen Schießbahn des Lagers Esterwegen.
Über 
diesen Link gelangen Sie zu dem abgebildeten Punkt, der sich am ehemaligen Anfang der Schießbahn befindet.
(Quelle: Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung, Universität Osnabrück)

In der Nachkriegszeit scheint der Schießstand des Lagers Esterwegen im Gegensatz zu anderen Schießständen der Emslandlager nicht weiter genutzt worden zu sein. Lediglich 1952 nutzte ihn der Schützenverein Esterwegen zum Königsschießen.

Das Gelände blieb allerdings weitgehend erhalten und ist noch heute als eine Schneise im Wald zu erkennen. Im Vergleich zu den Schießständen der anderen Emslandlager ist dies eine Besonderheit, denn sie sind heute häufig nicht mehr zu erkennen.

In der frühen Gedenkstättenarbeit der 1980er Jahre konzentrierte man sich vorrangig auf Orte der Unterdrückung und die Wiedersichtbarmachung der ehemaligen Lager. In der Memoralisierung des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen in dieser Zeit bis zur Erarbeitung des Ausstellungskonzepts für die Gedenkstätte Esterwegen ab Ende der 2000er Jahre taucht die Schießbahn nicht prominent auf. Erstmalig wird sie in der Dauerausstellung der 2011 eröffneten Gedenkstätte Esterwegen genannt. Allerdings fand die Schießbahn bisher keinen Eingang in den kommentierten Außenbereich der Gedenkstätte.
Auch in der Literatur der letzten 40 Jahre bleibt dieser Ort (wie seine Äquivalente an anderen Standorten der Emslandlager) unerwähnt. Bis heute gibt es keine systematische wissenschaftliche Untersuchung der SS-Schießstände der (frühen) Konzentrationslager.

Mit der browserbasierten Anwendung 'Panoee' haben Sie die Möglichkeit, das Gelände der ehemaligen Schießbahn des Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen virtuell von zu Hause aus zu erkunden. Den 360°-Rundgang über das Gelände der ehemaligen Schießbahn finden Sie hier. Er wurde von Geschichtsstudierenden der Universität Osnabrück im Rahmen des Kooperationsprojektes 'Boden | Spuren. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur' mit der Gedenkstätte Esterwegen erarbeitet.

Ihren Ausgang nimmt der 360°-Rundgang am ehemaligen Anfang der Schießbahn. Über die verschiedenen Punkte gelangen Sie bis zum Ende der ehemaligen Schießbahn, dem halbrunden Kugelfang.