Lager X Fullen
Das Lager X Fullen wurde 1934 als Konzentrationslager errichtet, jedoch dann dem Reichsarbeitsdienst (RAD) überlassen. Nach dem Abzug des RAD übernahm 1938 die Justiz das Lager zur Unterbringung von 1.000 Strafgefangenen. Sie sollten wie die anderen Strafgefangenen der Emslandlager in der Moorkultivierung eingesetzt werden.
Im Gegensatz zu anderen 1938 im Emsland und der Grafschaft Bentheim neu errichteten Strafgefangenenlagern, deren Gefangene 1938 teilweise zum Bau von Befestigungen am sogenannten Westwall abgezogen wurden, blieb das Lager Fullen bestehen. Es war im September 1938 mit 1.200, im Oktober mit 800 Strafgefangenen belegt.
Nach Kriegsbeginn im September 1939 übernahm das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) das Lager als Kriegsgefangenenlager und ordnete es als Zweiglager dem Kriegsgefangenen-Mannschaftstammlager (Stalag) VI B Neu Versen für zunächst polnische und später französische Kriegsgefangene zu. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion nahm die Zahl der Kriegsgefangenen deutlich zu. Im September 1941 waren 1.700 sowjetische Soldaten in Fullen interniert. Im Mai 1942 wurde das Stalag VI B Neu Versen dem Stalag VI C Bathorn angegliedert, mit ihm auch das Lager Fullen. Ab Herbst 1943 wurden italienische Militärinternierte in das Lager eingewiesen. Es sollte für diese als Lazarett dienen, war aber nicht mit den dafür notwendigen Materialien ausgestattet.
Italienische Militärinternierte bildeten eine besondere Gruppe unter den kriegsgefangenen Soldaten in den Emslandlagern. Nach dem Sturz des Ministerpräsidenten Benito Mussolini am 25. Juli 1943 schloss die neue italienische Regierung einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Zuvor hatte Italien als Verbündeter an der Seite Deutschlands gekämpft. In der Folge wurden über 600.000 italienische Soldaten von der Wehrmacht in Gefangenschaft genommen. Mit einem 'Führererlass' sprach Hitler ihnen den Status als Kriegsgefangene ab und schloss sie dadurch von den Bestimmungen der Genfer Konvention von 1929 aus. Dadurch verschlechterten sich die Bedingungen in der Gefangenschaft enorm. Viele Italiener mussten bei unzureichender Ernährung sowie mangelhafter medizinischer Versorgung schwere Arbeiten verrichten.
Einer dieser italienischen Militärinternierten war Ferruccio Franceso Frisone. Er wurde am 19. Februar 1909 in Malnate (Provinz Varese, Lombardei) geboren. Bereits im Alter von zwölf Jahren veröffentlichte er Karikaturen. Ein Kunststudium und eine Ausbildung für grafische Kunst in Mailand wurden durch erste Ausstellungen begleitet. Nach Ableistung seines Militärdienstes 1929/30 arbeitete er bei einem Verlag. 1935 heiratete er und wurde Vater zweier Kinder. Im Januar 1942 zum Militärdienst eingezogen, wurde er am 30. Juli 1943 in Durres (Albanien) stationiert. Am 8. September 1943, dem Tag des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten, lag Frisone in einem Krankenhaus in Albanien. Er wurde in deutsche Gefangenschaft genommen und kam im Januar 1944 in das Lager Versen und im März in das Lager Fullen. Vom Zeitpunkt seines Transports nach Albanien bis zum Tag seiner Repatriierung führte er Tagebuch, zeichnete Kameraden und Landschaften. Auch seine Erfahrungen in der Gefangenschaft hielt er in dem Tagebuch und den Zeichnungen fest. Nach der Befreiung des Lagers war er noch bis August 1945 noch dort untergebracht. Erst kurz vor seinem Tod wurden diese Zeichnungen in Mailand ausgestellt.1
Auf der Kriegsgräberstätte Fullen ruhen neben 137 namentlich bekannten Toten überwiegend aus der Sowjetunion ca. 1.500 unbekannte sowjetische Kriegsgefangene.
Im Rahmen eines laufenden Projektes des Archivs der Gemeinde Geeste in Kooperation mit der Gedenkstätte Esterwegen tragen ehrenamtlich tätige Interessierte Lebensdaten verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener in einer Datenbank zusammen, um die Erinnerung an diese zahlenmäßig größte Opfergruppe in der Region wachzuhalten. Sie finden das daraus entstandene Gedenkbuch hier. Ein Folgeprojekt widmet sich demnächst auch den Schicksalen der italienischen Militärinternierten.
Das Lager Fullen wurde im April 1945 von kanadischen Truppen befreit und noch einige Monate als Unterkunft für befreite Kriegsgefangene genutzt. In den 1950er Jahren erfolgte die Abtragung der Gebäude und die Freigabe als landwirtschaftliche Nutzfläche.
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[1] Vgl. Liedke, Karl (2017): Völkerrecht und Massensterben. Die Kriegsgefangenenlager im Emsland und in der Grafschaft Bentheim 1939-1945, in: Faulenbach, Bernd / Kaltofen, Andrea (Hrsg.): Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933-1945, Göttingen: Wallstein-Verlag, S. 211.