Lager IV Walchum
In dem emsländischen Ort Walchum befand sich von 1935 bis 1945 das Lager IV Walchum. Es wurde als Strafgefangenenlager der Justiz für 500 Gefangene geplant und im Mai 1935 fertiggestellt. Die Bewachung übernahm eine im Dienst der Justiz stehende SA-Einheit, die später durch Justizbeamte ergänzt wurde. Erste Planungen von Dezember 1936, das Lager auf eine Kapazität von 1.000 Gefangenen zu erweitern, wurden bis 1939 umgesetzt. Die tatsächliche Belegung schwankte aber in der Folgezeit stark.
Neben Strafgefangenen und von Wehrmachtgerichten verurteilte Soldaten aus dem Deutschen Reich waren auch ausländische Gefangene aus den von Deutschland besetzten oder annektierten Gebieten (Polen, Tschechen, Luxemburger und andere) hier eingesperrt. Im Februar 1945 waren noch 167 Strafgefangene im Lager Walchum inhaftiert. Sie wurden Anfang April 1945 in das Lager II Aschendorfermoor verlegt.
Laut standesamtlichen Beurkundungen sind im Lager IV Walchum 71 Gefangene gestorben; die tatsächliche Zahl dürfte aber höher liegen. Die Toten wurden auf dem Lagerfriedhof Börgermoor, heute Begräbnisstätte Bockhorst/Esterwegen, beerdigt.
In der Nachkriegszeit war das Lager für wenige Jahre zunächst ein Wohnort für ehemalige polnische Zwangsarbeiter:innen, ehe in den 1950er Jahren das Abtragen der Gebäude erfolgte und das Lager zu einer landwirtschaftlichen Nutzfläche gemacht wurde.
Die Geschichte der Emslandlager - und insbesondere auch die Geschichte des Lagers IV Walchum - zeigen, dass den Nationalsozialisten auch marginale Gruppen zum Opfer gefallen sind, deren Verfolgungsgeschichten heute einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind und deren Opfer heute seltener gedacht wird. So sind zum Beispiel auch Mitglieder der Glaubensgemeinschaft 'Zeugen Jehovas' während der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt, inhaftiert und teilweise hingerichtet worden.
Die 1874 in den USA gegründete Glaubensgemeinschaft der 'Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher' (später: 'Zeugen Jehovas') ist eine christliche Glaubensgemeinschaft, die sich von anderen christlichen Konfessionen besonders dahingehend unterscheidet, dass sie an die Rückkehr Jesus Christus' nach seinem Tod sowie dessen erneute Rückkehr glaubt. Mit der zukünftigen Rückkehr Jesu Christi sei dann ein Endzeitszenario verbunden.1
Mit der 'Machtübernahme' der Nationalsozialisten wurden den Zeugen Jehovas Forderungen bzw. Restriktionen auferlegt, die gezielt gegen ihren Glauben gerichtet waren oder die sie aufgrund ihres Glaubens nicht erfüllen konnten respektive wollten. Beispielsweise wollten viele nicht an den Reichstagswahlen am 5. März 1933 teilnehmen. Sie verweigerten den ‘Hitler-Gruß’ und wollten nicht in nationalsozialistische Organisationen, wie bspw. der NS-Volkswohlfahrt, eintreten, da sie aus Glaubensgründen eine politisch neutrale Haltung zu vertreten suchten.2 Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 bedeutete daher für die Zeugen Jehovas Verfolgungen, da ihr Glaube sie daran hinderte, in einer militärischen Organisation wie der Wehrmacht einen Treueid abzulegen. Zudem befolgten sie das biblische Gebot ‘Du sollst nicht töten’ streng, sodass viele Zeugen Jehovas den Wehrdienst verweigerten. Dafür wurden sie mit Haftstrafen von mehreren Jahren verurteilt. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde diese Verfolgung verschärft und teilweise auch mit dem Tode bestraft.3
Auch im Lager IV Walchum wurden Mitglieder der Zeugen Jehovas inhaftiert. Einer dieser Gefangenen war Heinrich Dickmann. Der 1903 in Dinslaken geborene Metallarbeiter war seit 1931 Mitglied bei den Zeugen Jehovas. Als er 1935 den Hitlergruß in seinem Betrieb und einen Einsatz bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF) verweigerte, wurde er von der Gestapo verhaftet und zunächst im KZ Esterwegen interniert. Nach einer zwischenzeitlichen Freilassung wurde er 1937 erneut verhaftet und zu 18 Monaten Haft verurteilt, die er dann in den Strafgefangenenlagern Walchum und Neusustrum absitzen musste. Nach Ende der Haftzeit wurde Dickmann dann ins KZ Sachsenhausen überführt, in dem auch sein Bruder August gefangen war und von der SS erschossen wurde. Nach verschiedenen weiteren KZ-Aufenthalten gelangte Dickmann in das KZ Ravensbrück, wo er 1945 befreit wurde. Nach Kriegsende engagierte Dickmann sich noch bis 1979 für die Zeugen Jehovas. Er verstarb 1998.
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[1] Vgl. Garbe, Detlef (1999): Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im 'Dritten Reich' (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 42), 4. Aufl., München: R. Oldenbourg Verlag, S. 43-57.
[2] Vgl. ebd., S. 155ff.
[3] Vgl. ebd., S. 352ff.