Lager II Aschendorfermoor
Das Lager II Aschendorfermoor existierte von 1935 bis 1945. Es wurde als Strafgefangenenlager der Justiz im April 1935 für 1.000 Gefangene fertiggestellt. Die Bewachung übernahm eine im Dienst der Justiz stehende SA-Einheit, die später durch Justizbeamte ergänzt wurde. Ab April 1937 wurde das Lager erweitert, so dass hier nun 1.500 Gefangene untergebracht werden konnten. Für die Wachmannschaften mussten die Gefangenen einen Vergnügungspark anlegen, von dem heute noch Reste erhalten sind.1
Von Juli 1937 bis Mai 1940 zog die Zentralverwaltung die politischen Gefangenen aus allen im Emsland bestehenden Lagern in Aschendorfermoor zusammen. Davon waren im gesamten Zeitraum etwa 2.200 Gefangene betroffen.
Ab 1940 bestand fast die Hälfte der Gefangenen aus von Wehrmachtsgerichten verurteilten ehemaligen Soldaten.
Einer der bekanntesten Gefangenen des Lagers II Aschendorfermoor war Heinrich Scheel. Der 1915 in Berlin geborene Scheel war Sohn von politisch engagierten sozialdemokratischen Eltern und leistete aufgrund seiner politischen Überzeugungen aktiven Widerstand gegen das NS-Regime. Als Teil des linken Widerstandsnetzwerkes 'Rote Kapelle' wurde Scheel 1943 verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. In der Folge war Scheel bis 1944 im Lager II Aschendorfermoor inhaftiert, aus dem er 1944 zum Wehrdienst in einem sogenannten 'Bewährungsbataillon'2 entlassen wurde. Das Kriegsende erlebte Scheel in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Größere Bekanntheit gewann Scheel durch sein Wirken nach Kriegsende. Nach langjähriger Tätigkeit als Historiker verschriftlichte er 1993 seine Erinnerungen in einer Autobiografie. Hier berichtete Scheel besonders über seine Zeit als Widerstandskämpfer in der 'Roten Kapelle' und seine Haft sowie die Zwangsarbeit im Lager Aschendorfermoor. „Der Sonntag war an sich arbeitsfrei, aber zugleich der Tag der Privatkommandos, zu denen sich alles drängte. Die größeren Bauern auf dem Lande, die Hilfe bei der Ernte brauchten, und Hausbesitzer aus der Stadt, die einen Garten umzugraben, eine Hecke zu beschneiden oder irgendwelche Bauarbeiten durchzuführen hatten, konnten sich für wenig Geld dazu Sträflinge mieten; am teuersten war der bewaffnete Wachposten, auf den nur verzichtet werden durfte, wenn der Anforderer selbst Waffenträger war. So habe ich ohne besondere Bewachung an zwei Sonntagen bei einem Justizbeamten eine über mannshohe große Hecke beschnitten; er stammte aus Süddeutschland und war nach Papenburg versetzt worden, wo er sich wie in Sibirien fühlte. Zur Kaffeezeit holte er mich ins Haus, setzte mir Tee mit Milch und Zucker vor, dazu eine Pumpernickel- und eine Weißbrotscheibe - ich glaubte, im Paradies zu sein."3
Anfang April 1945 wurden die verbliebenen 2.500 bis 3.000 Gefangenen der nördlichen Lager auf 'Evakuierungsmärsche' bzw. Todesmärsche in Richtung Leer geschickt, da die vorrückenden alliierten Truppen die Lager leer auffinden sollten. Die Märsche scheiterten und die Gefangenen wurden ins Lager II Aschendorfermoor verlegt.
Kurz darauf tauchte ein selbsterklärter 'Hauptmann Willi Herold' in einer Hauptmannsuniform mit einigen anderen Soldaten, die ihre Truppen zuvor verloren hatten, auf und übernahm das Kommando im Lager II. Willi Herold hatte eine Hauptmannsuniform in der Nähe von Bentheim gefunden, sich diese angezogen und sich fortan als ein Hauptmann ausgegeben, der er gar nicht war. Keiner hinterfragte seine ihm dadurch zugekommene Befehlsgewalt. Im Lager II Aschendorfermoor ließ Herold sich etwa 30 auf den Evakuierungsmärschen geflohene und wiederergriffene Gefangene vorführen und sie danach erschießen.
In den Tagen vom 10. bis 19. April 1945 ermordeten Willi Herold und seine Truppe willkürlich insgesamt 172 Gefangene. Sie wurden in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten im Lager verscharrt.
Willi Herold und seine Truppe verließen das Lager II Aschendorfermoor nach dem Massaker und fuhren weiter in Richtung Norden. Bei seiner Festnahme durch die Royal Navy am 23. Mai 1945 in Wilhelmshaven gab sich der 'Hauptmann' schließlich als der 21-jährige Gefreite Willi Herold zu erkennen. Im August 1946 wurden Willi Herold und sechs weitere Angeklagte wegen des Massakers im Lager II Aschendorfermoor durch ein britisches Gericht zum Tode verurteilt. Willi Herold wurde am 14. November in Wolfenbüttel hingerichtet.
1946 wurden die 172 Opfer des Massakers exhumiert und in der Nähe auf einem neu angelegten Friedhof beigesetzt.
Neben den Opfern des 'Herold-Massakers' sind laut standesamtlichen Urkunden 237 Gefangene aufgrund der harten Arbeit, schlechten Versorgung und willkürlichen, aber gezielt gegen die Internierten gerichteten Gewalttaten der Wachmannschaften im Lager II Aschendorfermoor verstorben; die tatsächliche Zahl dürfte aber höher liegen. Die Toten wurden auf dem Lagerfriedhof Börgermoor, heute Begräbnisstätte Bockhorst/Esterwegen, beigesetzt.
In unserer Ausstellung zum Lager II Aschendorfermoor erfahren Sie mehr über die Geschichte des Lagers, das 'Herold-Massaker' und wissenschaftliche Untersuchungen, die 2020 auf dem ehemaligen Lagergelände stattfanden. Ziel dieser Untersuchungen war es, die ursprünglichen Grablagen der Opfer des Massakers zu detektieren.
_________________________________________________________________
[1] Dieser Vergnügungspark stellte im Lagersystem der Nationalsozialisten keine Seltenheit dar. Auch in anderen Emslandlagern wie z.B. dem Lager Esterwegen ließen sich die Wachmannschaften ihren Lagerbereich 'verschönern'.
[2] Mit den zunehmenden Verlusten der deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg ab 1942 wurden sogenannte 'Bewährungseinheiten oder -bataillone' zusammengestellt. Dies waren Einheiten, die aus 'Wehrunwürdigen', die nach Verbüßung ihrer Strafzeit aus den Emslandlagern oder anderen Strafanstalten entlassen worden waren, bestanden. Andere wurden direkt aus dem Strafvollzug eingezogen. Die Bewährungseinheiten mussten in besonders gefährlichen Gebieten kämpfen.
Vgl. dazu: Richter, Timm C. (2017): Soldaten im Moor. Militärgerichtlich Verurteilte in den Emslandlagern 1939-1945, in: Faulenbach, Bernd / Kaltofen, Andrea (Hrsg.): Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933-1945. Göttingen: Wallstein-Verlag, S. 174ff.
[3] Scheel, Heinrich (1993): Vor den Schranken des Reichskriegsgerichts. Mein Weg in den Widerstand, Bremen: Edition q, S. 359.