Lager VII Esterwegen

07-1 Esterwegen.jpg

Eingangstor des Konzentrationslagers Esterwegen 1935.
Häftlinge fahren mit Steinen beladene Loren für den Bau der Lagerstraße durch das Lagertor.
(Quelle: Bundesarchiv, BildY 12-441-5280, Fotografen: Sohst, Walter / Kurzbein, Heiner) 

Das Lager Esterwegen bestand zwischen 1933 und 1945. Es gehörte neben Neusustrum und Börgermoor zu den frühen Konzentrationslagern im Emsland. Ab August 1933 inhaftierten die nationalsozialistische Führung und der preußische Staat in dem für 2.000 Häftlinge angelegten Doppellager vor allem politische Gegner und setzten sie zur Zwangsarbeit in der Moorkultivierung ein.

Die SS-Wachtruppe terrorisierte die Häftlinge und es kam zu einer Reihe von Morden. Aufgrund von Zuständigkeitsstreitigkeiten löste im November 1933 die Landespolizei die SS für kurze Zeit ab. Ab Januar 1934 übernahmen SA-Wachmannschaften die Lageraufsicht. Anders als in den Konzentrationslagern Börgermoor und Neusustrum trat der preußische Staat im Frühjahr 1934 das Lager an die SS und die 'Inspektion der Konzentrationslager' ab.

Loritz.jpg

SS-Standartenführer und Lagerkommandant Hans Loritz.
(Quelle: Bundesarchiv, R 9361-III/541142)

Im Zuge der Übergabe des Konzentrationslagers Esterwegen an die SS wurde SS-Standartenführer Hans Loritz  im Juni 1934 Lagerkommandant in Esterwegen. Sein Führungsstil steht sinnbildlich für die Gewaltkultur, die sich in den Konzentrationslagern entwickelte. Als Kommandeur führte Loritz nach Vorbild des KZ Dachau strengste Straf- und Disziplinarmaßnahmen ein, die zu einer unmenschlichen Behandlung der Häftlinge und regelmäßigen Schikanen durch die Wachmannschaft führten. Gewaltanwendungen wurden in der Regel nicht geahndet, sondern im Gegenteil gefördert. Die für diesen Zeitraum gestiegene Anzahl von Morden und Todesfällen im Lager Esterwegen spiegelt Loritz' Führungsstil wider.

Das Konzentrationslager wurde unter Führung der SS weiter ausgebaut, sodass es 1936 sogar zwischenzeitlich das zweitgrößte Konzentrationslager im Deutschen Reich war. Zu diesem Zeitpunkt war nur das Konzentrationslager Dachau größer. Das Lager wies in seinem Aufbau einen Bereich für die Häftlinge und einen Bereich für das Wachpersonal auf. Für die Häftlinge waren vor allem Unterkunftsbaracken, eine Häftlingsküche sowie Latrinen vorgesehen. Der Bereich der Wachmannschaften hatte dagegen neben Wohn- und Schlafraum verschiedene Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. So wurde beispielsweise ein Park für die Wachmannschaften und sogar ein Schwimmbecken mit Sprungturm angelegt. Das Lager war umzäunt und besaß Wachtürme. Eine Lagerstraße verband Häftlings- und Wachmannschaftsbereich und war zugleich Appellplatz, auf dem die Häftlinge anzutreten hatten. Darüber hinaus wurde die Straße auch zum Durchführen von Strafen und anderen Schikanen gegenüber den Häftlingen genutzt. 

Im Frühjahr 1936 waren über 500 SS-Männer im Lager eingesetzt und im 'Schutzhaftlager' befanden sich schätzungsweise 800 Häftlinge. Ihr Alltag war geprägt durch die Gewalt der SS. Zwischen 1934 und 1936 starben mindestens 34 Häftlinge, mindestens acht von ihnen waren jüdischen Glaubens.

Ernst Heilmann.jpg

Ernst Heilmann als Häftling des Konzentrationslagers Esterwegen 1935.
Das Foto stammt aus einem Fotoalbum und trägt darin die Beschriftung: "Konzentrationslager Esterwegen im Emsmoor. Typen. SPD - Heilmann". Vermutlich wurden für dieses Fotoalbum gezielt prominente Häftlinge des Lagers Esterwegen fotografiert. 
(Quelle: Bundesarchiv, Bild Y 12-441-5345, Fotografen: Sohst, Walter / Kurzbein, Heiner)

Das Konzentrationslager Esterwegen war ein Lager, in dem viele politisch und gesellschaftlich bekannte Häftlinge inhaftiert waren. Diese Häftlinge waren aufgrund ihrer Bekanntheit und ihrer politischen Haltung Ziel besonders harter Schikanen von Seiten der Wachmannschaften.
Das Ausmaß der körperlichen und seelischen Misshandlungen an prominenten Häftlingen kann an dem Beispiel des Politikers Ernst Heilmann aufgezeigt werden. Der 1881 in Berlin geborene Heilmann hatte einen jüdischen Hintergrund und war in Zeiten der Weimarer Republik ein bekannter sozialdemokratischer Politiker, der sich entschieden gegen Rechts- und Linksextremismus aussprach. Aufgrund seiner Haltung galt Heilmann den Nationalsozialisten als 'Erzfeind'.1 Heilmann wurde wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten festgenommen und in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert. Ab 1935 war Heilmann auch Häftling im Konzentrationslager Esterwegen, wo er schweren Misshandlungen durch die SS-Wachmannschaft ausgesetzt war. In einer 1949 erhobenen Anklage gegen einen ehemaligen Wachmann wird die Misshandlung Heilmanns wie folgt geschildert:

"Im Lager erhielt Heilmann, nachdem er vorher von K. misshandelt worden war, eine Kette um den Hals gelegt und wurde gezwungen wie ein Hund auf Händen und Füßen zu laufen und gleichzeitig zu bellen. Alsdann wurde er bellend in die einzelnen Baracken geführt. In jeder Baracke musste er rufen: ‚Ich bin der jüdische Landtagsabgeordnete Heilmann von der SPD-Fraktion!' In der Baracke 6 wurde er gezwungen, einen das Nazisystem verherrlichenden Vortrag zu halten, wobei er geschlagen und mit den Füßen getreten wurde. Nachdem er in dieser Weise durch die Baracken geführt worden war, brachte ihn K. in den Hundezwinger zu den dort gehaltenen bissigen Schäferhunden. Auch hier musste er wie ein Hund auf Händen und Füßen herumkriechen, wobei ihm die Hunde die Kleider vom Leib rissen."2

1937 wurde Heilmann in das KZ Sachsenhausen überstellt und nach weiteren Haftstationen 1940 im KZ Buchenwald von der SS ermordet.

Carl von Ossietzky

Carl von Ossietzky als Häftling im Konzentrationslager Esterwegen im Jahr 1935.
Auf seiner Kleidung ist die Häftlingsnummer 562 aufgenäht.
Dieses Foto stammt aus dem gleichen Fotoalbum, in dem auch das Foto Heilmanns zu sehen ist. 
(Quelle: Bundesarchiv, BildY 12-441-5332, Fotografen: Sohst, Walter / Kurzbein, Heiner)

Ein weiterer bekannter Häftling des Konzentrationslagers Esterwegen war der Schriftsteller Carl von Ossietzky. Ossietzky wurde 1889 in Hamburg geboren und wandte sich früh der Schriftstellerei zu. In der Weimarer Republik arbeitete er als Redakteur für verschiedene Zeitungen und wurde 1927 Chefredakteur der Zeitschrift 'Die Weltbühne'. Als Pazifist kritisierte er in seinen Artikeln die Wiederaufrüstung und warnte vor den Nationalsozialisten.
Nach deren Machtübernahme wurde Ossietzky am 28. Februar 1933 von der Gestapo festgenommen und 1934 in das Konzentrationslager Esterwegen überstellt. Als prominenter und den Wachmannschaften bekannter Gegner des NS-Regimes war auch Ossietzky schweren körperlichen und seelischen Misshandlungen ausgesetzt. Sein körperlicher Zustand verschlechterte sich im Verlauf der Haft zunehmend. Schon im Jahr 1934 versuchten Freunde und Mitstreiter internationale Aufmerksamkeit auf den Fall Ossietzkys zu lenken und seine Freilassung durch eine Friedensnobelpreis-Kampagne zu erwirken. Die Kampagne scheiterte in den Jahren 1934 und 1935, allerdings gewann Ossietzky an Aufmerksamkeit. 1935 besuchte ein Vertreter des Internationalen Roten Kreuz Ossietzky in Esterwegen und berichtete über seinen schlechten Zustand. Die mögliche Verleihung des Friedensnobelpreises an Ossietzky für das Jahr 1936, sein sich stetig verschlechternde Zustand und die durch die Olympischen Spiele auf Deutschland gerichtete internationale Aufmerksamkeit bewogen die Nationalsozialisten Ossietzky aus dem KZ Esterwegen in ein Berliner Krankenhaus zu überstellen. Er erhielt 1936 rückwirkend für 1935 den Friedensnobelpreis, durfte ihn aber nicht persönlich annehmen. Ossietzky starb 1938 an den Folgen seiner Misshandlungen in der KZ-Haft.

Im Herbst 1936 löste die SS das Konzentrationslager Esterwegen auf und verlegte Häftlinge wie Wachmannschaften zum neuen KZ Sachsenhausen bei Berlin. Viele Wachmänner, die im Lager Esterwegen ausgebildet wurden, lassen sich in den späten 1930er Jahren bis 1945 als Kommandanten oder Funktionäre in anderen Lagern finden. Ab 1937 übernahm die Justiz das Lager als Strafgefangenenlager. Nach Kriegsbeginn 1939 wurden die Gefangenen, zu denen nun auch von Wehrmachtgerichten verurteilte deutsche Soldaten gehörten, zunehmend in kriegswichtigen Betrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Verpflegung war schlecht und im Verhältnis zur harten Arbeit nicht ausreichend. Über diese allgemeine Tortur hinaus waren die Gefangenen vielfachen willkürlichen körperlichen und seelischen Misshandlungen der SA-Wachmannschaften ausgesetzt.

Pater Raskin.jpg

Priester und Widerstandskämpfer Maria Jozef Aloys Raskin.
(Quelle: Archiv der Gedenkstätte Esterwegen)

Von Mai 1943 bis Mai 1944 trennte die Justiz einen Teil des Lagers Esterwegen als 'Lager Süd' ab und verlegte insgesamt etwa 2.700 'Nacht-und-Nebel'-Gefangene2 – Widerstandskämpfer aus Belgien – nach Esterwegen. Einer dieser Nacht-und-Nebel-Gefangenen war der Priester Maria Jozef Aloys Raskin. Ursprünglich als Militärpfarrer bei der belgischen Armee eingesetzt, leitete Raskin nach der belgischen Kapitulation 1940 eine Widerstandsgruppe gegen die nationalsozialistische Besatzung. 1942 wurde er durch einen Spitzel verraten und über verschiedene Gefängnisse 1943 in das Lager VII Esterwegen gebracht. Die Nacht-und-Nebel-Gefangenen erfuhren aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit gegen die Nationalsozialisten keine rechtmäßigen Justizverfahren. Sie wurden noch nach Freisprüchen oder verbüßten Haftstrafen in Konzentrationslagern interniert und vielfach zum Tode verurteilt. So wurde auch Pater Raskin 1943 durch das Fallbeil in Dortmund hingerichtet.

Anfang April 1945 wurde das Lager geräumt und die Gefangenen mussten in das Lager II Aschendorfermoor marschieren. Hierbei kam es zu einzelnen Erschießungen von Gefangenen. Am 12. April 1945 erreichten kanadische Truppen das Lager Esterwegen und befreiten die nicht mehr zum  Marschieren fähigen Gefangenen.

In der Nachkriegszeit nutzte die britische Besatzungsmacht das Lager zunächst als Internierungslager, ehe es zwischen 1947 und 1951 wieder eine deutsche Strafanstalt wurde. Bis Ende der 1950er Jahre brachte die Bundesrepublik dann dort Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten unter. Von 1963 bis 2001 unterhielt die Bundeswehr ein Depot auf dem Areal des ehemaligen Lagers. Im Jahr 2011 eröffnete schließlich der Landkreis Emsland die Gedenkstätte Esterwegen. Die Toten des Lagers Esterwegens, deren genaue Zahl aufgrund in der Nachkriegszeit verlorener Unterlagen unbekannt ist, wurden auf dem Lagerfriedhof Börgermoor, heute Begräbnisstätte Bockhorst/Esterwegen, beerdigt.

___________________________________________________________________

[1] Vgl. Kaltofen, Andrea (2017): Die Häftlinge der Konzentrationslager im Emsland 1933-1936, in: Faulenbach, Bernd / Kaltofen, Andrea (Hrsg.): Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933-1945. Göttingen: Wallstein-Verlag, S. 42.
[2] aus: Anklageschrift des Oberstaatsanwalts in Oldenburg gegen Johannes Peter Kern vom 30. April 1949. Staatsarchiv Oldenburg, Best. 140-4 Nr. 844.
[3] Als 'Nacht-und-Nebel-Gefangene' werden festgenommene Widerstandskämpfer aus den deutsch besetzten, westeuropäischen Ländern bezeichnet. Das Oberkommando der Wehrmacht wollte durch das spurlose Verschwinden der Menschen bei 'Nacht und Nebel' Angst in der Bevölkerung der besetzten Länder auslösen und vom Widerstand abschrecken.